Social Media und der Iconic Turn: Diagrammatische Ordnungen im Web 2.0

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Noah Bubenhofer

Abstract

Die beiden zentralen Forderungen des Iconic Turns sind, 1) das Bildhafte an kulturellem Handeln anzuerkennen, aber auch 2) Bilder als Analyseinstrument von Kultur zu nutzen. Es geht um eine Rehabilitierung des Visuellen in seiner weitesten Bedeutung, verbunden mit der Erkenntnis, dass Bilder maßgeblich kulturelles Handeln prägen.


Als Korpuslinguist ist man immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, mit der Analyse von Textkorpora ebendiese Visualität sträflich zu vernachläßigen. Wenn man beispielsweise Diskurse in Sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Instagram u.ä. untersucht, sind diese ohne Zweifel von einer reichen Praxis der Bildbenutzung, Bildzitation etc. durchdrungen. Das stellt korpus- und computerlinguistische Untersuchungen von Social-Media-Daten, wie z.B. sog. Sentiment-Analysen, die große Mengen von Twitter-Tweets auf ihre Tonalität hin untersuchen, vor Probleme. Denn, um nur ein Minimalbeispiel zu geben, kann ein Text begleitendes Bild die Tonalität eines Tweets grundsätzlich ändern. Gar nicht erfasst werden zudem textlose, nur aus einem Bild bestehende Tweets, die genauso als Zeichen eine Tonalität entfalten können.


Weniger quantitativ ausgerichtete linguistische Analysen berücksichtigen jedoch die Bildlichkeit solcher Daten weit stärker, wie verschiedene multimodale Analysen zeigen (Frank-Job et al. 2013; Seizov & Wildfeuer 2017; Zappavigna 2018; grundsätzlich: Page et al. 2014, 16). Sie können beispielsweise verdeutlichen, wie Tweets als multimodale Zeichen, die zitiert, rekontextualisiert und modifiziert werden, diskursive Kräfte entfalten.


Mit den folgenden Überlegungen möchte ich aber einen nochmals anders gelagerten Aspekt von Bildlichkeit in sozialen Medien thematisieren: Dabei geht es nicht um Bilder im Sinne von Fotos, Zeichnungen, Filmen etc. als Bestandteile von Posts, sondern um diagrammatische Bildlichkeit, die die Darstellungen und Ordnungen von Texten, Postings und allen anderen Zeichen in sozialen Medien organisieren. Diese diagrammatische Bildlichkeit geht zurück auf diagrammatische Grundfiguren wie Listen, Netze, Karten oder Partituren. So erscheinen Tweets in einer „Timeline“ als geordnete Liste, die jedoch z.B. über die Auswahl eines Hashtags anders geordnet wird.


Der springende Punkt bei den Überlegungen ist dabei, dass die Analysen von Sozialen Medien wiederum selber diagrammatische Operationen vornehmen und so neue Ordnungen rekonstruieren. Verfolgt man ein diskursanalytisches Interesse bei der Analyse solcher Daten, ist das Zusammenspiel von „präanalytischen“ und analytischen diagrammatischen Operationen ein nicht zu trennendes Ensemble der gemeinsamen Rekonstruktion von Diskursen.

Artikel-Details

Zitationsvorschlag
Bubenhofer, Noah (2019): Social Media und der Iconic Turn: Diagrammatische Ordnungen im Web 2.0. In: Diskurse – digital 1, S. 114–135.
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